Ich war noch nicht mal 25 Jahre alt, als mir die erste Führungsaufgabe übertragen wurde. Anfangs kassierte ich eine Menge „blaue Flecken“. Meine naiven Vorstellungen vom „Big Boss“ lösten sich allmählich auf. Immer mehr wurde mir bewusst, dass mit der Führungsarbeit große Verantwortung verbunden ist. Mein Aufgabenbereich wuchs kontinuierlich. Irgendwann kam der Tag, an dem ich erstmals den Produktionsleiter vertreten sollte. 300 Mitarbeitende, mehrere Fertigungsbereiche, Logistik, Qualitätsprüfung, Berichtslinie zum CEO – ein richtig dickes Brett. Ich hatte Lampenfieber. Ich wußte, es wird nicht aus jeder Ecke Applaus kommen. Ich suchte Rat bei meinem Chef, dem Produktionsleiter. Er war mehr als „nur“ ein Chef. Er war mein Mentor. Als ich ihm erstmals begegnete, beeindruckte mich sein wacher Geist, sein taktisches Vorgehen und seine Souveränität. Außerdem hatte er ein ausgeprägtes Feingefühl für zwischenmenschliche Beziehungen und einen großartigen Humor.
Wir waren nicht immer einer Meinung. Hinter verschlossenen Türen wurde es auch schon laut zwischen uns. Das hinterließ jedoch nie Wunden, sondern nur Wachstum. Zu diesem Menschen ging ich also und fragte ihn: „Welche Kompetenzen habe ich, wenn Sie nicht hier sind?“ (Anmerkung: ja, die „Dutz-Welt“ war da noch weit entfernt) „Wie gehe ich mit Widerständen um, die bestimmt kommen werden? Was mache ich, wenn sich jemand nicht an meine Anweisungen hält?“ Ich fühlte großen Druck. Wir saßen uns am Besprechungstisch seines Büros gegenüber und schauten uns in die Augen. Ich kann mich sehr gut an diese Situation erinnern. Einen langen Moment nach meinem Fragengewitter geschah nichts. Dann griff er in seine Hosentasche. Er holte eine Trillerpfeife aus der Tasche und legte sie vor mir auf den Tisch. „Herr Schmidt…, Sie müssen machen, was nötig ist. Wenn Sie irgendwann diese Trillerpfeife hören, wissen Sie, dass Sie zu weit gegangen sind.“
Schlagartig löste sich ein großer Teil meiner Anspannung. Mit dieser Geste und seinen einfachen Worten hatte er sehr viel in mir bewegt. Er schenkte mir sein Vertrauen. Gleichzeitig signalisierte er mir, dass er hinter meinen Entscheidungen stehen wird – auch dann, wenn sie vielleicht nicht besonders klug sind. Er autorisierte somit meine Handlungen – noch bevor überhaupt klar war, wie diese Handlungen aussehen würden.
Ich arbeitete noch einige Jahre mit diesem wunderbaren Mentor zusammen und lernte viel von ihm. Seine Trillerpfeife hörte ich nie.
Mentoring ist mehr als das Weitergeben von Wissen und Erfahrung. Mentoring ist Vertrauen schenken, Raum geben, Rückendeckung, Mut machen. Mentoring ist eine Haltung.
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